Mikroorganismen gehören zu den Urformen des Lebens. Wir finden unsere Vorfahren überall. Ihre Biomasse ist größer als die der Pflanzen und Tiere zusammen. Und der Mensch beherbergt mehr Mikroorganismen als eigene Zellen auf und im Körper - eine Wohngemeinschaft, in der alles gut funktionieren kann, aber ernste Konflikte nicht ausbleiben. Das körperliche Netzwerk mikrobieller Spezialisten bezeichnet man auch als Mikrobiom. Ihre Vertreter leben höchst unterschiedlich und erbringen vielfältige und nützliche Stoffwechselleistungen. Mikrobielle Stammplätze sind die Epithelien der Mundhöhle, des Magen-Darm-Traktes, von Uterus, Zervix und Vagina, der Atemorgane und der Haut - also überall dort, wo der Mensch Stoffe aus seiner Umwelt aufnimmt, Abfallstoffe an die Außenwelt abgibt oder sich gegen die Umwelt schützt.
Geben und nehmen
Wie im Makrokosmos gibt es an den Schnittstellen des Mikrokosmos Wegelagerer, Opportunisten, Profiteure und Kollaborateure. Im Laufe der Jahrmillionen hat man sich aber so aneinander gewöhnt, dass die Synergien überwiegen, durch kulturelle Einflüsse aber auch Disharmonien entstehen können, wie die folgenden Beispiele zeigen: Selbst die Wegelagerer, die sich nach der Geburt auf der Haut ansiedeln, leisten durch ihre Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zum Hautschutz und zum Immunsystem. Die Verstoffwechselung von Fettstoffen und die damit verbundene Freisetzung von Säuren bedingen den niedrigen pH von 4,5-5,5 auf der Haut. Auf diese Weise stabilisiert sich auf der Haut eine spezifische Population, die einerseits dafür sorgt, dass fremde Keime in Schach gehalten werden, und andererseits das Immunsystem ständig trainiert wird, indem es unter anderem endogene antimikrobielle Peptide (AMP)1 erzeugt.
Auslöser von Infektionen
Beide Vorgänge werden empfindlich gestört, wenn der Wirt sprich Mensch auf porentiefe Reinigung und sterile Hautverhältnisse bedacht ist. Geschädigte Hautbarriere und gestörter Haushalt der AMPs erleichtern das Eindringen pathogener Keime in die Haut und damit verbundene Infektionen. Aus diesem Grund beobachtet man bei Land- gegenüber Stadtbevölkerungen eine statistisch geringere Empfindlichkeit gegenüber Barrierestörungen und Infektionen. Die trockene Haut ist das erste Zeichen für eine gestörte Barriere. Umgekehrt führt oberflächlich feuchte Haut wie etwa beim Schwimmbadbesuch über längere Zeit zu Störungen der lokalen Flora sowie zu Quellungen und erhöhter Durchlässigkeit der Haut. Damit erhalten Opportunisten wie die Fußpilze2 die Gelegenheit, die Barriere zu durchdringen und ihr zerstörerisches Werk zu beginnen. Auch schweißnasse, durch Ausrasieren begünstigte Haut-auf-Haut-Kontakte unter den Achseln oder die Schweißbildung bei geschlossenen Schuhen oder Stiefeln fördern die schnelle Vermehrung von Bakterien - erkennbar an ihren flüchtigen, geruchsintensiven Stoffwechselprodukten wie Isovaleriansäure und schwefelhaltigen Verbindungen.3
Auslöser für Entzündungen
Gut gemeinte fettreiche Pflege kann bei ungünstiger Hautkonstitution die Flora so beeinflussen, dass anaerob lebende Keime wie Propionibacterium acnes und Staphylococcus epidermidis nahezu ideale Lebensbedingungen erhalten und Entzündungen auslösen. Dies ist der Fall bei einer Neigung zu perioraler Dermatitis, Rosacea und jugendlicher Akne.4 Bei letzterer kommt allein schon die überhöhte Talgdrüsenaktivität als Ursache in Frage.
Stabile Flora im Intimbereich
Mikroorganismen fühlen sich im feuchtwarmen Milieu der Körperöffnungen besonders wohl. Daher ist es für Vagina und Vulva wichtig, dass auch die lokale Flora nicht durch falsch verstandene Hygiene destabilisiert wird.5 Der pH-Wert des vaginalen Sekrets beträgt etwa 4 und wird durch Milchsäurebakterien erzeugt. Sie bilden Milch- und Essigsäure, die durch den Abbau von Maltose und Dextrose entstehen. Diese Monosaccharide resultieren wiederum aus der Spaltung von Polysacchariden wie Glykogen. Darüber hinaus produzieren die Talgdrüsen der Vulva, die Bartholinischen, Skene- und Schweißdrüsen Sekrete, die in Verbindung mit der lokalen Flora ein saures Milieu bilden, das nicht an diese Umgebung adaptierte Keime in ihrem Wachstum hemmt und gegen opportunistische, fakultativ pathogene Pilze wie Candida albicans schützt. Der schwach basische Schleim der Zervixdrüsen - bestehend aus Polysacchariden, Salzen, Enzymen und Zellresten - verhindert wiederum das Vordringen von Keimen in die Gebärmutter.
Magen-Darm-Trakt profitiert
Die Bewohner des Magen-Darm-Traktes profitieren vom reichlichen Nahrungsangebot und zerlegen in Kooperation mit den Verdauungssekreten die unterschiedlichen Stoffgruppen in kleinere, für die Mikroorganismen selbst verwertbare und vom Körper resorbierbare Bestandteile. Sie sind hinsichtlich ihrer Enzymausstattung hoch spezialisiert. Dabei entstehen nicht nur Abbauprodukte sondern auch neue Stoffe, die wie das Vitamin K zum Teil essenziell für den Menschen sind. Vitamin B12 entsteht bei der Verdauung von pflanzlicher Nahrung, u. a. auch im menschlichen Dickdarm, von wo es allerdings nur unzureichend resorbiert wird. Das komplizierte Gleichgewicht unter den Mikroorganismen wird naturgemäß durch virale Störungen, Arzneimittel6, Einseitigkeit bei der Nahrungsaufnahme, durch Verknappung und kontraproduktive Stoffe beeinflusst.Nahrungsmittelintoleranzen bis hin zu Veränderungen der Haut7 sind nicht selten ein Zeichen für die Störung des Gleichgewichtes und lassen sich zuweilen längerfristig durch Absetzen von Arzneimitteln, Änderung der Essgewohnheiten oder durch probiotische Nahrungsergänzungsmittel beheben. Die reibungslose Umstellung der Verdauungsprozesse auf externe Nahrung ist nach der Geburt ein wesentlicher Faktor beim Aufbau des individuellen Immunsystems. Der intensive Stoffwechsel des Magen-Darm-Traktes beinhaltet auch die Detoxifizierung von Fremdstoffen (Xenobiotika) und umgekehrt deren Umwandlung in schädliche Stoffe. Ein wichtiges Merkmal der komplexen Darmflora ist die weitgehende Kontrolle und Eliminierung pathogener Mikroorganismen - eine Voraussetzung für die körperliche Gesundheit. Und nicht zu vergessen: Nahrung bestimmt unser Äußeres. Darauf sind neuerdings auch Nahrungsergänzungsmittel für die Haut in Form von Kollagenen abgestellt, die im Darm zu aufnahmefähigen Aminosäuren abgebaut werden. Selbst Faltenreduzierung ist möglich8 - nicht verwunderlich, denn ein inzwischen hoher Prozentsatz der deutschen Bevölkerung isst weder Fleisch noch Wurst.
Mundhöhle und Nasengänge
Unangenehme Geruchsstoffe, wie z. B. Indole, Schwefelwasserstoff und die verwandten Mercaptane, die im Darm gebildet werden, kommen in Spuren auch im Mundgeruch vor. Mundtrockenheit, Nahrungsrückstände zwischen den Zähnen oder Zungenbelägen begünstigen die Ansiedlung von Bakterien in der Mundhöhle. Auch die Nasengänge können betroffen sein ("Stinknase").9
Konservierung und Desinfektion
Organische Stoffe sind die Nahrung von Bakterien, Hefen und Pilzen. Lebensmittel und kosmetische Produkte sind daher besonders anfällig für den Verderb. Dabei können sich auch infektiöse Keime vermehren, die hochgiftige Toxine erzeugen. Beispiele sind Aspergillus (Schimmel), Pseudomonas (Wasserkeime) oder Clostridium botulinum (verdorbenes Fleisch). Deshalb werden Lebensmittel und Kosmetika konserviert, wenn sie gelagert werden sollen,10 und die Produktionsgeräte und -räume regelmäßig desinfiziert. Ebenso gibt es für die Behandlungsräume der dermatologischen Praxen und Kosmetikinstitute Hygienepläne. Darin wird geregelt,
- wie und wann Geräte, Böden, Flächen zu reinigen und zu desinfizieren sind,
- wie Hände zu reinigen und zu schützen (Hautschutzplan) sind,
- welche Arbeitskleidung zu tragen ist und in welchem Turnus sie zu wechseln ist,
- wie bei Behandlungen (z. B. Needling, Dermabrasion, Depilation, Ausreinigen) vorgegangen wird, um Infektionen zu vermeiden,
- wie Abfälle zu entsorgen sind und
- wie in Krankheitsfällen des Personals vorzugehen ist.
Konservierungsstoffe
Die Konservierung kosmetischer Präparate hat zwangsläufig ihre Schattenseiten, indem nach der Applikation der Präparate naturgemäß auch die Mikroflora der Haut verändert und gegebenenfalls auf Dauer die Bildung resistenter Keime auf der Haut gefördert wird - ähnlich wie bei ständigen Antibiotika-Anwendungen. Darüber hinaus sind Allergien bei empfindlicher Haut unvermeidlich, denn alle zugelassenen Konservierungsstoffe der Kosmetikverordnung (KVO) haben ein Sensibilisierungspotential.11 Diese Gefahr ist umso größer, je gestörter die Hautbarriere ist - erkennbar an hohen TEWL-Werten (TEWL = Transepidermaler Wasserverlust). Es empfiehlt sich daher in diesen Fällen, Präparate ohne Konservierungsstoffe der KVO zu verwenden oder auf wasserfreie Produkte12 auszuweichen. Im häuslichen Bereich, insbesondere bei Kleinkindern13, tragen übertriebene Desinfektionsmaßnahmen dazu bei, dass sich das kindliche Immunsystem nicht entwickeln kann. Resistenzen, in Form von Biofilmen, werden bei der Desinfektion von Geräten und Maschinen beobachtet.
Lösungsansätze
Es ist gesundheitlich und ökonomisch ratsam, sich so weit wie möglich mit Mikroorganismen zu arrangieren und die Synergien zu nutzen - vgl. auch die bakteriellen Stoffwechselleistungen in der Biotechnologie (z. B. bei der Herstellung von Xanthan, Hyaluronsäure etc.). In der Hautpflege ist der generelle Wechsel zu physiologischen Zusammensetzungen14, 15 und der Ausschluss kontraproduktiver Hilfsstoffe16 ein vielversprechender Ansatz. Dabei ist die physiologische Pflege des Körpers auf das ihn umgebende Mikrobiom zu erweitern.17 Darüber hinaus sind beispielsweise die Vermeidung enganliegender, reibender Kleidung und die maßvolle und gezielte Behandlung pathogener Vorgänge in der Haut, z. B. mit Blau- und Rotlicht18, Schritte in die richtige Richtung.
Referenzen
- Lautenschläger H, Antimikrobielle Peptide, Kosmetik International 2016 (7), 28-31
- Lautenschläger H, Die Barriere schützen - Hautpflege bei Pilzinfektionen, medical Beauty Forum 2013 (4), 48-50
- Lautenschläger H, Kosmetische Pflege bei starker Schweißbildung, Ästhetische Dermatologie (mdm) 2014 (7), 32-35
- Lautenschläger H, Überpflegung - Einfach zu viel des Guten, Kosmetik International 2015 (3), 22-25
- Lautenschläger H, Die Facetten der Intimpflege - Weniger ist mehr, medical Beauty Forum 2014 (2), 35-37
- Lautenschläger H, Einfluss von Arzneimitteln auf Haut und Hautpflege, Kosmetische Praxis 2009 (2), 11-14
- Lautenschläger H, Nahrungsmittelintoleranzen - wenn Essen die Haut reizt, medical Beauty Forum 2012 (4), 18-20
- Proksch E, Schunck M, Zague V, Segger D, Degwert J, Oesser S., Oral intake of specific bioactive collagen peptides reduces skin wrinkles and increases dermal matrix synthesis, Skin Pharmacol Physiol. 2014;27(3):113-9
- Lautenschläger H, Körper- und Hautgerüche, medical Beauty Forum 2016 (6), 12-17
- Lautenschläger H, Keimfrei verpackt - Produkte und Methoden, medical Beauty Forum 2017, 12-16
- Lautenschläger H, Unerwünschte Nebenwirkungen, Ästhetische Dermatologie (mdm) 2016 (7), 50-55
- Lautenschläger H, Vorteile von Produkten ohne Wasser und Hilfsstoffe, Kosmetik International 2017 (6), 56-58
- Lautenschläger H, Bitte nicht waschen! - Die schonende Hautpflege für Babys und Kleinkinder, Kosmetik International 2014 (5), 16-19
- Lautenschläger H, Geschichte und aktuelle Gesichtspunkte der Korneotherapie, Kosmetische Medizin 26 (2), 58-60 (2005)
- Lautenschläger H, Angewandte Korneotherapie in der Hautpflege - ein Leitfaden für die Anti-Aging-Behandlung, Ästhetische Dermatologie (mdm) 2007 (3), 8-16
- Lautenschläger H, Hilfsstoffe in Kosmetika, Kosmetische Praxis 2004 (1), 8-10
- Lanzendörfer-Yu, Skin Structure and Requirements on Skin Care - From Past to Future, Lecture on 4th International Symposium on Corneotherapy, May 6-8, 2016, Cologne, Proceedings 12-24; Struktur der Haut und Anforderungen an die Hautpflege - Von der Vergangenheit in die Zukunft, Ästhetische Dermatologie (mdm) 2016 (8)
- Lautenschläger H, Bioengineering der Haut - Die Kombi macht's, medical Beauty Forum 2015 (6), 42-45
Dr. Hans Lautenschläger
|